ich hab noch einen zahn in budapest

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Carla Wagener denkt global
Neulich las ich in einem Newsletter: Das Tourismusamt Ungarn verlost neue Zähne über Facebook.

Naja, nicht ganz: Ich kann bei einem Gewinnspiel eine Reise zu einem ungarischen Dentalspezialisten gewinnen. Dass Zahnbehandlungen dort nur einen Bruchteil dessen kosten, was in Deutschland die Kasse (nicht) bezahlt, ist hinlänglich bekannt. Das finde ich ja mal eine spannende Seite der Globalisierung. Nach Budapest wollte ich schon lange! Und irgendwie steht so ein Trip ja in der guten Tradition des Massentourismus-Erfinders Thomas Cook. Dessen erste Reise in einem gecharterten Zug für über 500 Touristen von Leicester nach Leeds war schließlich eine Tour der Abstinenzler-Bewegung bei Schinkenbrot und Tee. Also auch ziemlich gesund.

Ich eile ins Nachbarbüro zu meinem Kollegen Georg Nagelmacher. Georg spart nämlich gern, und die Zahnverlosung inspiriert ihn vielleicht zu weiteren Reisezielen, die ich mit einem günstigen Upgrade in Sachen Gesundheit verbinden könnte. Wie so mancher Scheich, der sich vertrauensvoll in die qualifizierten Hände deutscher Mediziner begibt und danach noch ein bisschen im Schwarzwald chillt. Wenn ich mir also das lädierte Kreuzband – statt beim hiesigen Kniespezialisten – in Indien richten lasse, bekomme ich das Maharadscha-Feeling gleich dazu. Dann noch eine Ayurveda-Kur anschließen und ich fühle mich wie runderneuert. Bestimmt.

„Georg, auf Facebook kann man neue Zähne gewinnen. Ungarische. Cool, oder?“ Georg schaut verständnislos. „Also, man kann eine Reise nach Ungarn gewinnen und sich da dann günstig die Zähne machen lassen.“ Er brummt missmutig, was mich ahnen lässt, dass er ein entglobalisiertes Gebiss made in Germany bevorzugt. Aber dann kriegt er die Zähne doch noch auseinander und schlägt mir vor, lieber gleich zur Alkoholentwöhnung nach Russland oder zur Ernährungsumstellung in die USA zu fahren, das sei genauso sinnvoll.

Sehr witzig. Das hätte ich mir eigentlich denken können. Bestimmt ist Georgs Unterwäsche weiter rumgekommen als er selbst: Design (sofern vorhanden) aus Deutschland, mit Baumwolle aus China gewebt, in der Türkei zugeschnitten, in Thailand genäht, in Bangladesch den Gummibund rein und dann wieder zurück hierher zum Discounter seines Vertrauens, wo er sie im Zehnerpack mitnimmt.

Das ist Georgs Version von „think global, act local“.

Erschienen in: CWT Connect Magazine, Ausgabe 03-2011

Illustration: Matthias Seifert

 

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